Trockenheit in Europa reduziert Kohlenstoffaufnahme der Vegetation und mindert Ernteerträge
Das europaweite ICOS-Netzwerk zur Messung von Treibhausgasen (Integrated Carbon Observation System) lieferte die Datengrundlage zu Studien, die aufzeigen, wie die Vegetation in Europa auf extrem trockene Witterungsbedingungen reagiert. Die gestern in Philosophical Transactions B veröffentlichten Ergebnisse verdeutlichen, dass im Dürre-Sommer 2018 die Fähigkeit der Vegetation, CO2 aus der Atmosphäre zu binden (Kohlenstoff-Senke), um 18 Prozent zurückgegangen ist. Gleichzeitig wurden die niedrigsten Ernteerträge seit Jahrzehnten erreicht. Da extreme Dürreperioden in Zukunft wahrscheinlich viel häufiger auftreten werden, gewinnen diese Erkenntnisse an besonderer Bedeutung.Im Sommer 2018 war die bisher größte beobachtete Fläche in Europa von extremer Trockenheit betroffen. In vielen Regionen Mitteleuropas und im Vereinigten Königreich wurden Temperaturrekorde gebrochen, selbst in den nordeuropäischen Ländern kam es zu starken Waldbränden und viele Länder verzeichneten Ernteausfälle.
In 17 Studien, die gestern in einer Sonderausgabe von Philosophical Transactions B veröffentlicht wurden, wird aufgezeigt, wie die Vegetation in Europa auf die Trockenheit reagierte, insbesondere auf welche Weise und wie stark der Kohlenstoffaustausch zwischen der Vegetation und der Atmosphäre beeinflusst wurde. Die Studien decken Gebiete von Spanien bis Schweden und Finnland, von der Tschechischen Republik über Deutschland, Frankreich und Belgien bis zu den Niederlanden und dem Vereinigten Königreich ab.
Aufgrund des sich ändernden Klimas wird erwartet, dass extrem heiße und trockene Sommer in Zukunft viel häufiger auftreten werden. Infolgedessen werden wahrscheinlich auch landwirtschaftliche Anbauflächen zunehmend stärker betroffen sein. Die Dürre-Studien liefern entscheidendes Wissen, um die negativen Auswirkungen des Klimawandels zu minimieren.
Die Fähigkeit der Wälder zur CO2-Bindung (Kohlenstoffsenken) ging zurück, Ernten gingen verloren und Wiesen vertrockneten
Die Ergebnisse zeigen, dass die Pflanzen zunächst von den warmen und sonnigen Witterungsverhält-nissen im Frühjahr 2018 profitieren konnten, ihre Wurzeln dann später aber zu wenig Wasser hatten, als die Sommerhitze einbrach. So vertrockneten die Wiesen im Sommer, wodurch zu wenig Heu für das Vieh bereitstand. Die niedrigsten Ernteerträge seit Jahrzehnten führten zu finanziellen Verlusten in vielen landwirtschaftlichen Betrieben. „Mehrere Studien zeigen eindeutig, dass die Trockenheit des Bodens für die Pflanzen noch schlimmer war als die hohen Temperaturen und die niedrige Luftfeuchtigkeit“, erklärt Ana Bastos, Wissenschaftlerin am Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena und eine der Hauptautor/Innen dieses Themenhefts.
An vielen Standorten wurde nachgewiesen, dass sich die Wälder vor der Trockenheit schützen konnten, indem sie ihre Verdunstung und ihr Wachstum reduzierten. Dies zog allerdings eine verringerte Kohlendioxidaufnahme nach sich und ihre Funktion als Kohlenstoffsenke ging daher an 56 Standorten um 18% zurück.
Die trockenen Klimabedingungen haben sogar einige Ökosysteme von Kohlenstoff-Senken in -Quellen verwandelt. Moore, die wieder bewässert wurden, schienen jedoch durch erneutes Pflanzenwachstum bessere Überlebenschancen zu haben. Dies ist eine gute Nachricht, denn die Rekultivierung von Mooren ist eine weltweit eingesetzte Maßnahme, um die Folgen des Klimawandels abzuschwächen.
Weiterhin verdeutlichen die Studien, dass die Reaktion der Vegetation auf einen extrem heißen und trockenen Sommer stark von den Witterungsverhältnissen im vorangegangenem Frühjahr und sogar Winter abhängt. In einigen Teilen Europas war der Winter 2017/2018 niederschlagsreich und führte somit zu einer hohen Bodenfeuchtigkeit. Das Frühjahr 2018 war ausgesprochen sonnig und setzte bereits früh ein. Dies hatte zur Folge, dass die Vegetation im Frühjahr überdurchschnittlich stark gedieh und mehr Kohlenstoff als üblich aus der Atmosphäre aufnahm. An einigen Orten reichte dieses Frühjahrswachstum aus, um die später im trockenen Sommer reduzierte Kohlenstoffaufnahme in der Jahresbilanz auszugleichen. „Wenn die wissenschaftliche Forschung solche Dürren und ihre Auswirkungen mehrere Monate vor der Dürre vorhersagen könnte, wären wir besser vorbereitet, um bei der Anpassung an die sich ändernden Klimabedingungen helfen zu können.“, sagt Professor Wouter Peters von der Universität Wageningen, Niederlande. Peters ist ebenfalls einer der Hauptautoren dieses Themenhefts.
Gemeinsame Forschungsbemühungen von über 200 hochrangigen Wissenschaftlern
Die 17 Studien sind das Ergebnis der Forschungsarbeiten von über 200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern innerhalb der ICOS-Forschungsinfrastruktur, aus namhaften europäischen Univer-sitäten und -Forschungsinstituten. „Die Forschenden haben sehr gut zusammengearbeitet und große Datenmengen zusammengetragen“, hebt Alex Vermeulen, Mitorganisator der Studie und Leiter des ICOS Carbon Portals, hervor. „Wir hatten einen offenen Datenaustausch während des gesamten Prozesses, wodurch einzigartige Datensätze gesammelt werden konnten, die über das ICOS Carbon Portal öffentlich zugänglich sind“. Die ersten Datensätze standen bereits sechs Monate nach dem Start der Initiative zur Verfügung.
Ermöglicht wurde dies durch das ICOS-Netzwerk der Treibhausgasen-Messungen, das in 140 Stationen europaweit kontinuierlich wichtige Klimaveränderungen erfasst. Über die bereitgestellten hochwertigen Langzeitdaten können wissenschaftliche Ergebnisse schneller als bei herkömmlich durchgeführten Studien erzielt werden.
„Die Möglichkeit, einzigartige Datensätze und Ergebnisse in so kurzer Zeit zu gewinnen, zeigt, dass Forschungsinfrastrukturen wie ICOS leistungsstarke Werkzeuge für hochwertige Forschung sind. Um uns an die wechselnden Klimabedingungen anzupassen, können wir uns nicht auf jahrzehntealtes Wissen verlassen. Wir brauchen zeitnahe Informationen über den Zustand der Erde“, sagt Philippe Ciais, Forschungsleiter des Laboratoire des Sciences du Climat et de l‘Environnement (LSCE, Labor für Klima- und Umweltwissenschaften in Frankreich) und einer der Organisatoren und Herausgeber dieses Themenhefts.
„Diese Studien zur Trockenheit zeigen, dass die ICOS-Gemeinschaft in der Lage ist, interdisziplinäre Zusammenarbeit zu organisieren, unterschiedliche Datenreihen zusammenzustellen und neues Wissen voranzutreiben, um den Herausforderungen gerecht zu werden, die der Klimawandel uns allen abverlangt“, resümiert Werner Kutsch, Generaldirektor von ICOS.
Vorstellung der Studienergebnisse auf der ICOS-Wissenschaftskonferenz
ICOS organisiert vom 14. bis 17. September 2020 eine Online-Wissenschaftskonferenz, wo auch die Ergebnisse des Themenhefts von den Autoren vorgestellt werden. Das ICOS-Konferenzprogramm kann auf der ICOS-Website eingesehen werden, die Teilnahme ist kostenlos.
Weitere Informationen:
Das Integrated Carbon Observation System, ICOS, ist eine europaweite Forschungsinfrastruktur zur Beobachtung von Treibhausgasen: ICOS liefert standardisierte Daten zur Konzentration von Treib-hausgasen in der Atmosphäre sowie zum Kohlenstofffluss zwischen Atmosphäre, Ökosystemen und Ozeanen. Diese Informationen sind wesentlich, um Klimaveränderungen vorherzusagen und negative Auswirkungen abschwächen zu können. Die standardisierten ICOS-Daten basieren auf Messungen von über 140 Stationen in 12 europäischen Ländern. Diese zwischenstaatliche Organisation wird von den Mitgliedsstaaten finanziert.
Kontakt am MPI-BGC:
Dr. Ana Bastos
Gruppenleiterin, Climate-ecosystem-disturbance interactions
Abteilung Biogeochemische Integration
Tel +49 3641 576247, abastos@bgc-jena.mpg.de
Die folgenden Autoren vom MPI-BGC haben zu den 7 Veröffentlichungen des Themensonderheftes beigetragen:
Ana Bastos, Tarek El-Madany, Christoph Gerbig, Martin Heimann, Olaf Kolle, Mirco Migliavacca, Javier Pacheco-Labrador, Markus Reichstein, Christian Rödenbeck, Ulrich Weber, Thomas Wutzler, Sönke Zaehle.