Biodiversitätsversuchsflächen auf dem Prüfstand
Ein Großteil der Erkenntnisse darüber, wie Ökosysteme von biologischer Vielfalt profitieren, stammt aus künstlich angelegten Versuchsflächen. Kritiker bemängeln jedoch seit langem, dass dort Artengemeinschaften wachsen, die in der Natur nicht vorkommen. Doch der positive Effekt der Biodiversität ist nicht nur dem Design der Versuchsflächen geschuldet. Das konnte ein internationales Forscherteam unter Leitung des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv), der Universität Leipzig (UL), der Universität Bern und des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums und mit Beteiligung mehrerer Wissenschaftler des Max-Plank-Instituts für Biogeochemie nun nachweisen, indem sie unrealistische Versuchsflächen in ihrer Analyse aussparten. Ihre Ergebnisse, die in Nature Ecology & Evolution veröffentlicht wurden, belegen, dass die aus den Versuchsflächen erlangten Erkenntnisse zur biologischen Vielfalt valide sind.
Basierend auf einer Pressemitteilung des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums
Ob eine Handtasche nun ein teures Original oder eine erschwingliche Nachahmung ist, ist für die meisten wahrscheinlich unwichtig. Wenn es aber um Natur geht, ist der Unterschied zwischen echt und nachgemacht durchaus relevant, denn vieles, was wir über die Zusammenhänge zwischen dem Verlust biologischer Vielfalt und den verringerten Leistungen der Ökosysteme wissen, wurde in Biodiversitätsexperimenten festgestellt. Dabei werden auf Versuchsflächen Pflanzengemeinschaften angesät, um Natur nachzuahmen. Die hier gewonnenen Erkenntnisse sind nicht unumstritten, denn auf den Versuchsflächen wachsen auch Artengemeinschaften, die in der Natur entweder sehr selten sind oder gar nicht vorkommen. Dies wurde wiederholt von Kritikern bemängelt. „Es gab bisher kaum Informationen darüber, wie sehr sich die Pflanzengemeinschaften auf Versuchsflächen von denen in der Natur unterscheiden, geschweige denn dazu, welchen Einfluss solche Unterschiede auf die Erkenntnisse haben, die wir aus den Experimenten ziehen“, so Erstautor Dr. Malte Jochum, Wissenschaftler bei iDiv und UL und zuvor an der Universität Bern tätig.
Das internationale Forschungsteam stellte daher die Nachahmungen der Natur auf die Probe. Das Team verglich dazu die Vegetation in zwei der größten und ältesten Grasland-Versuchsflächen mit der Vegetation äquivalenter Standorte in der echten Natur. Eines der untersuchten Biodiversitätsexperimente ist das Jena Experiment in Thüringen. Zum Vergleich zogen die Wissenschaftler naturnahe, benachbarte Graslandschaften und wissenschaftlich überwachte, landwirtschaftlich genutzte Flächen, die sogenannten Biodiversitäts-Exploratorien, heran.
„Wir haben zunächst untersucht, inwieweit sich die Pflanzengemeinschaften der Versuchsflächen und der echten Natur hinsichtlich der Artenzahl, der verwandtschaftlichen Nähe der Arten und der funktionalen Eigenschaften unterscheiden. Dabei zeigt sich, dass die Versuchsflächen vielfältiger als die echte Natur sind und es dort Pflanzengemeinschaften gibt, die man in der realen Welt nicht vorfindet. Im ‚Jena Experiment’ beispielsweise ähneln nur 28 Prozent der Parzellen der echten Natur so stark, dass wir sie als ‚realistisch’ eingestuft haben”, erklärt Ko-Autor Dr. Peter Manning, Wissenschaftler am Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum.
Im nächsten Schritt verglich das Team die Ergebnisse aller Versuchsparzellen mit Ergebnissen, die nur aus „realistischen“ Parzellen stammen. „Überraschenderweise änderte sich kaum etwas. Bei zehn von zwölf Zusammenhängen zwischen dem Artenreichtum und einer Funktion des Ökosystems unterscheiden sich die Ergebnisse zwischen den gesamten und den ‚realistischen‘ Versuchsparzellen nicht signifikant. Das deutet darauf hin, dass die Abhängigkeit der Ökosystemfunktionen von biologischer Vielfalt, die solche Biodiversitätsexperimente zeigen, sehr wahrscheinlich auch in der weitaus komplexeren Natur besteht“, erklärt Jochum.
Die Wissenschaftler folgern daraus, dass die Erkenntnisse zu den Auswirkungen des Artensterbens, die auf Versuchsflächen gewonnen wurden, valide sind. „Der Öffentlichkeit ist in den letzten Jahren zunehmend bewusst geworden, dass die biologische Vielfalt unsere Lebensgrundlage ist und das Artensterben deshalb auch die Menschheit bedroht. Weniger bekannt ist, dass in der wissenschaftlichen Gemeinschaft debattiert wird, wie wichtig genau biologische Vielfalt ist. Wir beantworten diese langjährige Frage und belegen, dass biologische Vielfalt wirklich eine entscheidende Rolle spielt. Es ist darum äußerst wichtig, sie zu schützen, damit wir auch in Zukunft gut leben können“, so Manning.
Seitens des Max-Planck-Instituts für Biogeochemie (MPI-BGC) wurden langjährige Forschungsergebnisse und –Plattformen zur Studie beigetragen. Neben Ergebnissen aus dem Jena Experiment, welches vom MPI-BGC gemeinsam mit der Friedrich-Schiller-Universität Jena im Jahr 2002 als Versuchsfeld etabliert worden war, konnten auch Langzeit-Daten der DFG-geförderten Biodiversitäts-Exploratorien als natürliche, reale Kontrollen genutzt werden. Mithilfe der TRY-Datenbank, der weltweit größten Sammlung funktioneller Pflanzenmerkmale, war der Vergleich funktioneller Eigenschaften der unterschiedlichen Pflanzengemeinschaften möglich.