Vorsicht bei „netto null“ in der Klimapolitik – unser Planet reagiert empfindlich!

Eine Tonne CO2 aus der Luft holen und so eine Tonne Emissionen ungeschehen machen? Haut nicht hin, sagt eine Studie. Und liefert vier Einwände mit Blick auf die Erdsysteme.

Während die Trendwende beim globalen CO2-Ausstoß auf sich warten lässt, kündigen immer mehr Staaten zur Mitte des Jahrhunderts das Ziel von „netto null“ an: kaum vermeidbare Restemissionen, aber kompensiert durch CO2-Entnahmen aus der Atmosphäre. Doch in solchen Plus-Minus-Strategien lauert ein Missverständnis, warnt jetzt eine Studie: Die Idee, Emissionen einfach eins zu eins zurückzuholen und quasi ungeschehen zu machen, beißt sich mit der Beschaffenheit der Erdsysteme. Die Studie, an der auch Direktor Sönke Zahle vom Max-Planck-Institut für Biogeochemie mitgewirkt hat, wurde diese Woche in der renommierten Fachzeitschrift Nature Climate Change publiziert.

Das interdisziplinäre Forschungsteam ging der Frage nach, was ein solches auf den ersten Blick ausgeglichenes netto-Kohlenstoffbudget in der Atmosphäre für die Erdtemperatur bedeutet. „Dabei ist wichtig zu verstehen, dass man neben der CO2 -Konzentration in der Atmosphäre auch die Reaktion und Trägheit des Erdsystems im Blick haben muss“, sagt Sönke Zaehle. „In unsere Studie haben wir vier Gründe identifiziert, warum die Folgen von Ausstoß und Entnahme nicht unbedingt äquivalent sind, und sich daher auf die Erderwärmung auswirken können.“

  • Erstens sind Ausstoß und Entnahme von unterschiedlicher Dauer. Während emittiertes CO2 für viele Jahrhunderte den Planeten aufheizt, wird es etwa nach der Speicherung in Wäldern oder küstennahen Ökosystemen viel schneller wieder freigesetzt. Dazu trägt auch der Klimawandel bei, über dürre- und hitzebedingtes Waldsterben und Hitzewellen im Meer. Auch bei Speicherung im Ozean und sogar in geologischen Formationen erfordert das Vorsichtsprinzip einen gewissen Abschlag: Rechnerisch netto null bei Emissionen und Entnahmen ist für den Planeten nicht egal.
  • Zweitens haben eine Reihe von Entnahme-Methoden auch biophysikalische Effekte: Sie verändern die Vegetation und die Oberflächenstruktur und damit das Rückstrahlvermögen des Planeten. So holt man etwa durch großflächiges Aufforsten oder Zufügen von Biokohle auf Äckern zwar CO2 aus der Atmosphäre. Aber zugleich verringert man dadurch die Absorption der Sonnen-Einstrahlung, was zu lokal begrenzter zusätzlicher Erwärmung beiträgt. Hingegen haben Entnahme-Optionen wie der durch große Pumpen bewirkte künstliche Auftrieb von Tiefenwasser oder der Anbau schnell wachsender Biomasse in Klimaplantagen (zwecks Verfeuern mit Abscheiden und unterirdischer Speicherung des CO2) einen lokal kühlenden Effekt.
  • Drittens können sowohl der Ausstoß als auch die Entnahme von CO2 wichtige Rückwirkungen auf die Bilanz bei anderen Treibhausgasen wie Methan und Lachgas haben. Beim Fördern und Verbrennen fossiler Brennstoffe entstehen zudem weitere Gase wie etwa Schwefeldioxid, ein Vorläufer von Sulfat-Aerosolen, die ebenfalls klimawirksam sind. Selbst Luftfilter-Anlagen zur Direktabscheidung können als Nebeneffekt, über ihren Energiebedarf, Emissionen zur Folge haben. Was bei netto null CO2 genau herauskommt für die Nicht-CO2-Emissionsbilanz, ist von vielen Details abhängig, bis zur Auswahl der Baumsorte bei Aufforstung.
  • Viertens ist die Klima-Reaktion auf den Kohlenstoffkreislauf aus verschiedenen Gründen asymmetrisch. So wird ein von Emissionen erzeugter Temperaturanstieg nicht sofort neutralisiert, wenn wir die Emissionen Jahre später wieder herausholen, vor allem wegen der trägen Reaktion der Tiefsee. Zudem wirken Entnahmen nicht so stark bei höherem CO2-Gehalt in der Atmosphäre, also wenn das Klimasystem bereits in einem anderen Stadium ist. Diese Effekte sind teilweise auch nicht linear: So wachsen Bäume etwas schneller, wenn mehr CO2 in der Luft ist, und tragen also stärker zur Entnahme bei, doch dieser Effekt verringert sich mit steigender CO2-Konzentration.

„Wie eine Netto-Null-Strategie je nach Ausgestaltung auf das Klima wirkt, muss mit weiterentwickelten Erdsystem-Modellen noch präziser erforscht werden“, empfiehlt Sabine Fuss, Leiterin der MCC-Arbeitsgruppe Nachhaltiges Ressourcenmanagement und globaler Wandel und Co-Autorin der Studie. „Die Unsicherheiten werden wohl nicht in der knappen Zeit geklärt, die uns bleibt, eine mit dem Paris-Abkommen konsistente Klimapolitik zu entwickeln und umzusetzen. Entnahmen dürfen nicht zu wichtig werden. Priorität muss sein, die Emissionen schnell in Richtung null zu drücken.“

Weitere interessante Beiträge

Zur Redakteursansicht