Überlebensstrategie hungernder Bäume: die kritische Rolle der Energievorräte
Bei extremem Klima können Pflanzen nicht ausreichend energiereiche Kohlenstoff-Verbindungen durch Photosynthese herstellen. Sie sind dann auf Reserven angewiesen. Diese werden nach bisherigen Erkenntnissen aber nur gebildet, wenn genug Photosyntheseprodukte vorhanden und Wachstumsvorgänge abgedeckt sind. Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Biogeochemie fanden nun heraus, dass Bäume auch während langer Hungerphasen weiterhin Reserven bilden. Dabei verzichten sie darauf, weiter zu wachsen und verdauen sogar eigene energiereiche Bestandteile. Mit dem neuen Wissen können Modelle verbessert werden, die das Schicksal der Wälder vor dem Hintergrund des Klimawandels vorhersagen.
Bäume und ganze Wälder sind weltweit bedroht durch zunehmende Klimaextreme und in deren Folge auch durch verstärkten Insektenbefall. Als ortsgebundene Lebewesen können Bäume ungünstigen Umweltbedingungen nicht entfliehen, sie müssen ihre Stoffwechselvorgänge an die Gefahren anpassen. Pflanzen produzieren mithilfe der Photosynthese energiereiche Zuckermoleküle (Kohlenhydrate), die sie gleichzeitig als Energiequellen und als Grundbausteine für alle Stoffwechselvorgänge benötigen. Doch extreme Klimabedingungen, wie etwa lang anhaltende Dürre oder Hitze, können diese Energiegewinnung drastisch verringern, zum Beispiel weil das dafür benötigte CO2 oder Wasser nicht mehr von der Pflanze aufgenommen wird. Der Bedarf an energiereichen Zuckern ist dann nicht gedeckt und die Pflanzen müssen gespeicherte Reserven anzapfen, um zu überleben. Sind auch diese leer, droht der Tod durch Verhungern oder durch Schädlinge. Denn auch die Abwehr von Schadinsekten und andere Verteidigungsmechanismen sind sehr energieaufwändig.
Bisher ging man davon aus, dass nur unter günstigen Photosynthese-Bedingungen überschüssige Kohlenhydrate in Form von löslichen Zuckern, Stärke und Fetten als schnell verfügbare Speicherstoffe gesammelt werden und wenn andere Funktionen wie Wachstum abgedeckt sind. „Das macht aus Sicht der Evolution aber keinen Sinn. Bäume müssen Jahrzehnte überleben, bevor sie sich fortpflanzen können, und schnell verfügbare Reserven spielen dabei eine enorm wichtige Rolle“ unterstreicht Dr. Henrik Hartmann, Gruppenleiter am Max-Planck-Institut für Biogeochemie (MPI-BGC) in Jena, „warum sollte also ein Baum in Wachstum investieren, anstatt das Überleben zu sichern und vielleicht sogar noch weitere Reserven anzulegen?“
Um diese Frage zu beantworten, hat Dr. Jianbei Huang, Postdoktorand der Arbeitsgruppe und Erstautor der Studie, junge Fichten einer mehrwöchigen Hungerkur unterzogen, indem er die Bäumchen bei stark verringerter CO2 Konzentrationen wachsen ließ. Damit konnte er die verminderte Photosynthese während Klimaextremen simulieren. Die schnell verfügbaren Speicherstoffe nahmen dann in den Pflanzen erwartungsgemäß ab, da sie für das Wachstum und den Metabolismus aufgebraucht wurden und nicht nachgeliefert werden konnten. Je länger diese CO2-Hungerphase dauert, desto stabiler wurde aber überraschenderweise der geringere Gehalt an Speicherstoffen. Gleichzeitig stoppten die Bäume ihr Wachstum. “Wenn die Photosyntheseleistung zu gering ist, um alle Funktionen ausreichend mit Kohlenstoff zu versorgen, reduzieren Bäume ihre Wachstumsvorgänge, um Ressourcen für die Speicherung freizusetzen“, folgert Huang.
Gleichzeitig untersuchten die Forscher*innen 3-5 Wochen nach Beginn des CO2-Hungerns die genetische Aktivität der Pflanzenzellen, also welche und wie viele Enzyme hergestellt wurden. „Wir fanden erstmalig, dass auch nach längerem Hungern Enzyme für die Speicherung schnell verfügbarer Kohlehydrate vermehrt produziert wurden“, so Huang. Im Gegensatz dazu wurden Enzyme für Wachstumsprozesse der Bäume, zum Beispiel für die Herstellung von Zellulose und Lignin, auf molekularer Ebene stark reduziert. Die Befunde zu den Speicherstoffen und dem Wachstum konnten also auf genetischer Ebene bestätigt werden.
Interessanterweise waren aber Stoffwechselkreisläufe für eine alternative Energiegewinnung angekurbelt, zum Beispiel durch vermehrte Enzyme für die Umwandlung komplexer Fettmoleküle in energiereiche Kohlenhydrate. „Die Pflanzen scheinen lieber nicht benötigte Moleküle zu opfern und sich sozusagen selbst zu verdauen, als auf schnell verfügbare Speicherstoffe zu verzichten“ so Hartmann. „Die Strategie zur Energiegewinnung und -speicherung bei gleichzeitigem Abschalten unnötigen Energieverbrauchs für das Wachstum wird also konsequent umgesetzt,“ fasst Hartmann zusammen. Wie lange Bäume Klimaextreme mit dieser Strategie überleben und ob äußerlich gesund aussehende Bäume sich schon im Notfallmodus der Selbstverdauung befinden, sind weiterführende Fragen, die dringend erforscht werden müssen. Die neuen Ergebnisse lassen aber hoffen, dass sich Wälder durch diese Anpassungen besser von den Auswirkungen von Klimaextremen erholen können.
Untersuchungen zu Speicherstrategien in Pflanzen wurden bisher nur mit der kurzlebigen krautigen Ackerschmalwand Arabidopsis und nur über die Dauer von Stunden bis wenigen Tage durchgeführt. Auf Bäume, als höchst langlebige Pflanzen, die Jahrzehnte für Ihre Reproduktion benötigen und dabei kontinuierlich dem Wechsel der Jahreszeiten sowie sporadischen Klimaextremen ausgesetzt sind, waren diese Erkenntnisse nicht übertragbar. „Natürlich müssen Bäume anderen Strategien folgen als zweijährige Kräuter“ sagt Huang, „wie sonst haben sie es geschafft, sich seit fast 400 Millionen Jahren auf der Erde zu behaupten?“
Nadelbäume, wie die hier untersuchten Fichten, dominieren viele Ökosysteme der nördlichen Hemisphäre und haben neben der Aufnahme und Speicherung des Treibhausgases Kohlendioxid andere sehr wichtige ökologische Funktionen. Gleichzeitig sind viele Nadelbaumarten nicht an wärmere und trockenere Bedingungen angepasst und daher in ihrer Existenz besonders gefährdet. Ob die Bäume und Wälder überleben und wie sie sich weiterentwickeln, wird von Forschern weltweit in geeigneten Vegetationsmodellen simuliert. Diese basieren bisher alleinig auf den Daten zur Photosyntheseleistung und lassen die Bedeutung der Reserven völlig außer Acht. „Aufbauend auf unseren neuen Erkenntnissen, können Vegetationsmodelle nun realistischer gestaltet werden“ unterstreicht Hartmann, „und verlässlichere Vorhersagen sind gerade unter dem fortschreitendem Klimawandel extrem wichtig, um die zukünftige Entwicklung der Wälder abschätzen zu können.“